aus: Süddeutsche-Zeitung Magazin, Nr. 25, 21.06.2002, S. 20-25

BILD DIR DEINE MEINUNG

EUROPAS GRÖSSTE ZEITUNG WIRD FUNFZIG - EIN ANLASS ZUM FEIERN?

FÜNF SCHICKSALE, DIE DAGEGEN SPRECHEN.

GUDRUN STAEB, 46, FRÜHERE LEBENSGEFÄHRTIN VON RAIMUND HARMSTORF. ER ERHÄNGTE SICH AM 3. MAI 1998, EINEN TAG, NACHDEM BILD BERICHTET HATTE: »SEEWOLF RAIMUND HARMSTORF IN DER PSYCHIATRIE«.

Der Freitagabend bevor sich Raimund das Leben nahm, war seit langer Zeit mal wieder ein schöner Abend für uns. Ich hatte eingekauft, das Haus beheizt, einfach alles wieder ein bisschen in Gang gebracht. Am nächsten Tag wollten wir über das Wochenende an den Bodensee fahren. Um ein bisschen Abstand zu gewinnen und uns anzuschauen, was wir liebten: Wasser und Segelschiffe. Wir hatten den Monat davor beide in Kliniken verbracht. Am 5. April war ich wegen eines äußerst schmerzhaften und komplizierten Bandscheibenvorfalls in das Krankenhaus eingewiesen worden; am nächsten Morgen wurde Raimund mit einer Medikamentenvergiftung eingeliefert. Er hatte Parkinson und seine größte Angst war, dass es jemand bemerken würde. Denn der Seewolf durfte kein Parkinson haben. Der musste mit einer Hand eine rohe Kartoffel zerdrücken können.

Deshalb nahm er Medikamente, die Parkinson-Symptome, wie das Zittern, unterdrückten. Und er nahm wahrscheinlich viel zu viel - immer, wenn er dachte, er würde mit Menschen zusammentreffen, selbst bevor er einkaufen wollte. Das ging seit vielen Monaten so und Raimunds ganzes Wesen hatte sich verändert. Er war gehetzt und getrieben. Erst nachdem er in die Klinik eingeliefert worden war, erfuhr ich von den Nebenwirkungen der Medikamente: Angstzustände, Wahnvorstellungen, Psychosen. Deshalb ist er, auch als die akute Vergiftung schon ausgestanden war, freiwillig in klinisch-psychiatrischer Behandlung geblieben. Nach vier Wochen ging es ihm wesentlich besser und er durfte das Krankenhaus für ein Wochenende verlassen. Ich bin am selben Tag aus der Klinik entlassen worden und habe ihn abgeholt. Wir sind nach Hause gefahren, haben uns vor den Kamin gesetzt und viel geredet. Irgendwie schien er nach den Monaten, in denen er von seiner Angst, entdeckt zu werden, fast besessen war, wie erlöst. Er hatte sein Gleichgewicht wieder ein wenig gefunden und ich schöpfte Hoffnung, dass wir diese wirklich schwierige Zeit ausgestanden hätten. Doch ich irrte mich.

Am nächsten Morgen klingelte es. Ich war gerade im Badezimmer, also machte Raimund die Tür auf. Kurze Zeit später kam er die Treppe nach oben gerannt, total außer sich, und hielt mir die Kopie der ersten Bild-Seite entgegen: »Seewolf Raimund Harmstorf in der Psychiatrie«. Auf einer anderen Seite, ebenfalls kopiert, kam dann ein kurzer Abriss seines Lebens, zusammengeschrumpft auf Unfälle und persönliche Niederlagen. »Mit aufgeschnittenem Handgelenk aufgegriffen«, stand da und noch ein paar Sachen, die einfach gelogen waren. Ein Reporter von der Bunten hatte diese Kopien gebracht - warum Kopien, weiß ich auch nicht -, aber Raimund sagte nur: »Das kann doch nicht wahr sein, das muss ein schlechter Scherz sein.« Es klingelte noch einmal; diesmal machte ich auf. Wieder stand dieser Mensch vor der Tür, mit der Bild unterm Arm, und er sagte: »Herr Harmstorf hat mir nicht geglaubt. Deshalb hier das Original.«

Das Telefon klingelte jetzt ununterbrochen, Journalisten riefen an, um mit Raimund zu sprechen. Er riss den Stecker aus der Wand, dann steckte er ihn wieder rein, weil vielleicht ein Freund oder Bekannter anrufen würde. Ich weiß noch, wie er zu einem sagte: »Das ist doch mein Todesurteil.« Raimund hatte die Vorhänge runtergelassen, denn auch vor der Tür standen mittlerweile die Reporter. Das war wie eine Belagerung, der absolute Wahnsinn. Und wir waren damit allein, in die Klinik konnte Raimund auch nicht mehr. Zu viele Journalisten, hatte sein Arzt gewarnt.

Um etwas Normales zu tun, habe ich abends angefangen, etwas zu kochen. Spargel mit Kartoffeln. Nach ein paar Minuten kam Raimund in die Küche gehetzt: »Jetzt bringen sie die Bild-Geschichte auf RTL«, rief er. Er fragte mich dann »Ist das mein Leben? Habe ich denn nie Theater gespielt und Filme gedreht?«

Wir sind dann ziemlich früh ins Bett gegangen und von dem, was in der Nacht passiert ist, habe ich nichts mitbekommen. Denn wir haben uns wie immer Ohropax in die Ohren getan. Ich habe außerdem noch ein ziemlich starkes Schmerzmittel genommen, weil mir die Bandscheibe unheimlich wehtat. Ich weiß nur noch, dass ich vor dem Einschlafen seine Hand genommen habe. Als ich dann am nächsten Morgen so gegen sechs aufgewacht bin, war der Platz neben mir leer. Leer und kalt.

 

MAIK HAUKE, 22. IM NOVEMBER 2000 SCHRIEB B/LD, IM SÄCHSISCHEN SEBNiTZ SEI EIN KLEINER JUNGE VON NEONAZIS ERMORDET WORDEN. HAUKE WAR EINER DER VERMEINTLICHEN TÄTER.

»Jetzt endlich kann Josephs Tod gesühnt werden«, stand in dem Artikel. Daneben war mein Foto und der Satz: »Hager, Bürstenhaarschnitt: Maik H. - unter Mordverdacht verhaftet«. Da kamen dann fünf Mithäftlinge und sagten: »Das bist du doch.« Die wollten mir ans Leder. Dazu muss man wissen, dass es auch im Gefängnis eine Hackordnung gibt. Kindermörder sind da das Allerletzte. Ich hatte auf dem Foto zwar einen Balken vor den Augen, aber man konnte mich schon erkennen. Ich hab dann versucht, mich rauszureden: Ich bin hier wegen Körperverletzung, komme gar nicht aus Sebnitz und so. Das haben die mir aber nicht geglaubt; einmal hing ein Foto von dem kleinen Joseph an meiner Tür, dann wieder riefen sie beim Hofgang »Kindermörder«, »Drecksau«. Ich mein, man glaubt immer, im Gefängnis kann einem nichts passieren, aber ich muss sagen, ich hatte richtig Angst. Manchmal hab ich wirklich gedacht: »Ich will nicht mehr.« Nach fünf Tagen war dann klar, dass die Bild Mist geschrieben hat, und eigentlich sollte ich entlassen werden. Die Polizei meinte aber, es ist besser, wenn ich noch eine Nacht in Schutzhaft bin. Die Situation in Sebnitz war durch die Berichte so aufgeheizt, dass ich mich da nicht blicken lassen sollte. Erst am nächsten Tag wurde in einer Pressekonferenz gesagt, dass wir unschuldig sind. Als ich dann meine Mutter wieder gesehen habe, habe ich 'nen unheimlichen Schreck bekommen. Die war völlig fertig, da ging gar nichts mehr. Ich hab sie bloß noch in den Arm genommen und selber eine Runde geflennt. Jetzt will man mir 55 Euro für die Haft zahlen, als Entschädigung. Das war's dann. Die Bild hat sich nicht mal bei mir entschuldigt.

 

ULLA JELPKE, 51, PDS-BUNDESTAGSABGEORDNETE. MISSBRAUCH UND EIN BABY - »IN BILD ERZÄHLT SIE ALLES«, HlESS ES 1991. DABEI WOLLTE ULLA JELPKE GAR NICHTS ERZÄHLEN.

Noch immer kommen Leute auf mich zu und fragen, was das damals eigentlich sollte. Zum Beispiel Burkhard Hirsch von der FDP, mit dem ich gemeinsam im Innenausschuss des Bundestags saß. Vor einiger Zeit haben wir nach einer Sitzung noch über irgendetwas geredet, da fragte er ganz unvermittelt: »Was war das eigentlich mit der Bild-Zeitung?« Jahre später! Da wurde mir klar: Das wirst du nie wieder los. Wahrscheinlich war mein Fehler, überhaupt mit dem Bild-Reporter zu sprechen. Aber ich dachte, es wäre die einzige Chance, die Veröffentlichung meiner Geschichte zu verhindern. Ich hatte einer befreundeten Journalistin für einen Artikel in der Brigitte von meiner Tochter erzählt, die bei ihren Adoptiveltern lebt. Ganz am Rande wurde auch erwähnt, dass sie von meinem Stiefvater stammt, der mich missbraucht hatte. Ich hoffte damals, die Adoptiveltern meiner Tochter würden den Artikel lesen und vielleicht Kontakt zu mir aufnehmen - was auch geschah. Ich habe heute zu meiner Tochter und ihren Eltern ein richtig gutes Verhältnis. Die Bild witterte aber eine große Geschichte und bedrängte die Adoptiveltern und Verwandte von mir, den Namen meines Stiefvaters und andere Details zu nennen. Adoption, Missbrauch und eine Abgeordnete - die wollten das richtig ausschlachten. Auch bei mir meldeten sich ständig Bild-Reporter und versuchten, mich in Gespräche zu verwickeln. Ich habe dann selber bei der Bild in Hamburg angerufen und den damaligen Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje gebeten, von der Veröffentlichung der Geschichte abzusehen. Sogar mit juristischen Schritten habe ich ihrn gedroht. Trotzdem war ich mir fast sicher, dass die den Artikel bringen würden. Also bat ich einen Freund in Hamburg, nachts die Bild am Bahnhof zu kaufen. »Abgeordnete vom Vater missbraucht. Baby. In Bild erzählt sie alles«, stand da auf Seite eins. Es ging nur noch um den Missbrauch, die Fakten waren größtenteils falsch, zusammengeklaubt aus dem Brigitte-Artikel und Zitaten, die ich nicht freigegeben hatte, teilweise waren sie auch einfach erfunden. Und bei all dem wurde der Eindruck erweckt, ich hätte mich der Bild- Zeitung freiwillig offenbart. Es war widerlich. Aber das Schlimmste war, als ich am nächsten Morgen in den Innenausschuss kam. Da saßen die Kollegen aus allen Parteien, lasen Bild oder guckten mich schweigend an.

 

JÜRGEN TRITTIN, 47. »WAS MACHTE MINISUR TRITTIN AUF DIESER GEWALT-DEMO?«, FRAGTE BILD IM JANUAR 2001.

Es war an einem Montag. Ich weiß nicht mehr, ob ich im Auto oder in meinem Büro saß, als ich das Foto in Bild gesehen habe. Ich war fassungslos, dachte mir, das kann doch wohl nicht wahr sein. Eine Zeitung macht mit einer so plumpen Fälschung auf. Das Originalbild war in Farbe schon Sonntag vorab in einem Nachrichtenmagazin zu sehen gewesen. Bild jedoch gab das Foto in Schwarz-Weiß, schlecht gerastert und an den Rändern stark beschnitten wieder. Jeder Schüler, der sich halbwegs mit Bildbearbeitung auskennt, hätte das besser gekonnt. Und weil da nichts mehr richtig zu erkennen war, drängten die Bild-Redakteure ihren Lesern mit den einmontierten Hinweisen auf, was sie sehen sollten: So wurde aus einem Handschuh ein Bolzenschneider und aus einem Tau ein Schlagstock. Ich war ja schon einiges gewöhnt von Bild. Zum Beispiel hatte sie mal behauptet, ich hätte mit meinem Dienstwagen einen Stau verursacht, nur weil ich am Straßenrand Croissants kaufen wollte. Aber dieses verfälschte Foto mit dem angeblichen Schlagstock und dem Bolzenschneider, das schlug alles. Dass eine Zeitung versucht, ein Mitglied der Bundesregierung mit einem verfälschten Foto in Misskredit zu bringen - das hatte es in Deutschland noch nicht gegeben. Ich wurde von Bild als Sympathisant von Gewalttätern dargestellt, dabei hatte ich 1994 auf dieser Demonstration in Göttingen, wo das Foto entstanden war, versucht, zwischen Polizei und Demonstranten zu vermitteln. Das hat später selbst der Göttinger Polizeichef bestätigt.

Von meinen Parteikollegen waren die meisten über diese Berichterstattung entsetzt. Selbst diejenigen, die die Proteste gegen die Bild-Zeitung in den 68em bewusst erlebt hatten, hätten nicht gedacht, dass Bild so weit gehen würde. Ich habe mich dann mit Chefredakteur Kai Diekmann verbinden lassen und der hat wohl erkannt, dass Bild hier zu weit gegangen war. Jedenfalls machte er einen Rückzieher und hat sich bei mir entschuldigt.

Was Bild da gemacht hat, war Teil einer Kampagne, mit der das Blatt zu Beginn des Jahres 2001 versuchte, mich und andere Minister wegen einer angeblich gewalttätigen Vergangenheit zum Rücktritt zu bewegen. Offenbar wollte Bild auf die Politik übertragen, was sonst nur bei der Fußball- Nationalmannschaft klappt, nämlich die Mannschaftsaufstellung zu beeinflussen.

 

GÜNTER WALLRAFF, 59. DER 50. GEBURTSTAG VON BILD IST AUCH FÜR IHN EIN JUBILÄUM: VOR 25 JAHREN SCHLICH ER SICH ALS HANS ESSER IN DIE BILD-REDAKTION HANNOVER EIN.

Verglichen mit Drogen war Bild in den Siebzigern das Allerhärteste: Heroin. Mittlerweile ist das Blatt wie ein Ersatzstoff beim Entzug, sozusagen wie im Methadonprogramm. Daran habe ich bestimmt auch einen Anteil, selbst der Bundesgerichtshof hat mir attestiert, bei Bild »Fehlentwicklungen des Journalismus« aufgedeckt zu haben. Das macht mich nicht besonders stolz, aber es ist eine gewisse Genugtuung. Denn die Bild-Geschichte hat mir zeitweise auch ziemlich zugesetzt. In den Jahren nach dem Erscheinen meiner Bücher gab es kaum einen Monat, in dem der Springer-Verlag nicht irgendeinen Prozess gegen mich geführt hat. Die wollten mich mürbe machen. Dafür haben sie alle Register gezogen: Mein Telefon wurde abgehört, man hat mich als Untergrundkommunist diffamiert, ein Bild- Schreiber hat aus Dossiers des Bundesnachrichtendienstes ein ganzes Buch über mich verfasst. Das wurde dann in einer hohen Auflage kostenlos an Journalisten, Richter, Staatsanwälte und Polizeistationen verteilt. Zusätzlich hat Bild Detektive auf mich angesetzt. Einer hat sich meine Freundschaft erschlichen, um mich auszuhorchen. In einem anderen Fall war es eine Frau, die sie mir angedient haben. Nicht gerade mein Typ, aber auch nicht unattraktiv, sie gab vor, dass sie für die BBC arbeite. Erst kurz bevor es ernst wurde, habe ich über Umwege erfahren, dass sie einen Auftraggeber hat: Bild. Wer jetzt denkt, das ist doch alles ganz spannend - Detekteien, schöne Frauen -, dem kann ich nur sagen: Wenn man nicht mehr weiß, wem man trauen kann - das ist ein Scheißgefühl. Aber andere, die von Bild im wahrsten Sinne des Wortes gerufmordet worden waren und sich nicht wehren konnten, so wie ich, haben sich deshalb das Leben genommen. Ich habe zahlreiche Abschiedsbriefe, die das beweisen.

Heute ist Bild etwas milder geworden und viele, auch staatstragende Politiker, haben sich mit dem Blatt arrangiert. Denken Sie nur an die Filmbiografie von Axel Springer, Der Verleger - eine völlig verkitschte und teilweise verlogene Darstellung, die an Heldenfilme aus der DDR erinnert. Oder nehrnen sie die Wochenzeitung Die Zeit: Das Blatt hatte sich Anfang 2001 in einem Dossier mit den neuen Köpfen im Springer-Konzern kritisch auseinander gesetzt; anschließend schreibt der Zeit-Verleger dem Springer-Chef einen Brief, in dem er sich dafür entschuldigt. Da wächst einiges zusammen, was eigentlich nicht zusammengehört.

Bild, BamS und Glotze, sagt der Bundeskanzler Schröder, seien seine wichtigsten Medien, und lässt dort nebst Gattin die rechten Sprüche gegen Ausländer und Sexualstraftäter los. Da ist es auch kein Wunder, dass er einen früheren Bild-Mann, Bela Anda, zu seinem Sprecher ernennt. Stoiber hat mit ihm gleichgezogen und den ehemaligen Chefredakteur von Bild am Sonntag zu seinem Wahlkampfmanager gemacht. Dass Bild aber trotzdem noch Zähne hat, lässt sich ja gerade jetzt im Vorwahlkampf beobachten: Jeder vermeintliche Fehler eines rot-grünen Ministers wird auf der ersten Seite ausgeweidet. Gleichzeitig wird Stoiber als das »weißblaue Kraftwerk« gefeiert, und Leute, die gegen ihn demonstrieren, werden pauschal als Chaoten abgestempelt. In Wahlkampfzeiten kann man sich bei Bild darauf verlassen, dass stets der rechte Kandidat favorisiert wird.

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