Aus: DeutschlandRadio Kultur vom 10.1.2006, Sendung FAZIT:

Die Pressekammer des OLG Hamburgs hat dem Springer-Verlag endgültig verboten, zu behaupten oder zu verbreiten, dass Günter Wallraff ein informeller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen ist. Mit dieser letztinstanzlichen Entscheidung hat sich der Enthüllungsjournalist gegen Springer durchgesetzt. Wallraff hatte von 1968 – 1971 journalistische Recherchen in der damaligen DDR angestellt. Diese Arbeit war ihm als aktive Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst ausgelegt worden. Die Springer Zeitungen "Die Welt", "Berliner Morgenpost" und "BILD" hatten den bekannten Schriftsteller und Journalisten daraufhin als "Stasi-IM Günter Wallraff" bezeichnet. Zur Begründung des Urteils sagte die Sprecherin des Hanseatischen OLG, Frau Sabine Westfein:

"Die Kammer hat ausgeführt, dass der Axel-Springer-Verlag hätte beweisen müssen, dass Herr Wallraff ein sog. "Stasi-IM" gewesen sei. Diesen Beweis habe die Beklagte nicht erbracht. Es habe zwar eine Fülle von Dokumenten vorgelegen und die Kammer hat diese gesehen, diese hätten auch etliche Hinweise auf Herrn Wallraff enthalten, jedoch hätte keines dieser Dokumente belegt oder bewiesen, dass er tatsächlich ein sog. "Stasi-IM" gewesen war, d.h., dass er wissentlich und willentlich mitgearbeitet hat für die Staatssicherheit der DDR."

Wallraff's Anwalt Helmuth Jipp begrüßte das Urteil als vollen Erfolg. Er habe die Entscheidung so erwartet, weil es keine Beweise geben könne. Wallraff habe niemals bewusst und aktiv für die Stasi gearbeitet und niemals Kontakte mit der Staatssicherheit gesucht oder unterhalten. In seinem 1977 erschienenen Buch "Der Aufmacher – Der Mann, der bei BILD Hans Esser war" habe der Autor von Lügen, Fälschungen und Hetze des Boulevard-Blattes gesprochen. Seitdem habe der Springer-Verlag wiederholt versucht, Wallraff eine inoffizielle Mitarbeit bei der Stasi anzuhängen, sagte sein Anwalt.: "Es ist nicht nur eine Retourkutsche, es ist auch die Fortsetzung einer Kampagne, die der Springer-Verlag gegen Wallraff seit Jahren, man kann sagen, seit Jahrzehnten, geführt hat. Jetzt mit dem Versuch, ihn im Nachhinein zum Stasi-Agenten zu stilisieren. Und dieser Versuch ist erneut gescheitert."

Fast drei Jahre hatte sich der Prozess hingezogen. Während dieser Zeit war der Publizist in den Springer-Blättern zur "Feder des Bösen" erklärt worden. Während dieser Zeit habe er zu spüren bekommen, wie schwierig es sei, sich gegen den mächtigen Medien-Konzern zu wehren. "Das war schon hauptberufliche Arbeit und nervenaufreibend, finanziell erstmal sehr, sehr kostenintensiv und man bekommt auch nur einen kleinen Teil zurück. Und wenn man dann auch noch erfährt, dass es ein sehr renommiertes Anwaltsbüro ist, die den Konzern vertreten, wo dann ein Anwalt 500,- Euro pro Stunde bekommt, dessen Tag aus 36 Stunden besteht, der dann hunderte Seiten Schriftsatz produziert, dann weiß man, mit was für einem Gegner man es zu tun hat."

Umso größer war die Genugtuung, dass es gelungen ist, vor Gericht sein Recht zu bekommen. "Umgekehrt wäre es wie so ein Titel geworden und damit bezwecken die natürlich etwas. Sie wollen ein Lebenswerk kaputt machen, sie wollen einen ständig in Verdacht halten und sie wollen jede Kritik, die man auch, ja, gerade an diesem Konzern übt, ich immerhin in drei Büchern1, wollen sie damit unglaubwürdig machen. Ich bin da wirklich nicht zart besaitet, aber es artete regelrecht in Verfolgung aus und von daher ist es schon eine Genugtuung, weil, sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir in einem Rechtsstaat leben. Auch wenn's ihnen schwer fällt, damit müssen sie sich nun langsam mal abfinden, obwohl sie sich immer selbst als obersten Volksgerichtshof gerieren."

Der heute 63-jährige Journalist hat einen Rechtshilfefonds gegründet, mit dem er BILD-Opfer unterstützt und ihnen auch Rechtsanwälte stellt.

"Ich habe hunderte von Verfahren, Gegendarstellungen, Widerrufe und Schmerzensgeldforderungen gegen dieses Lügenblatt durchgesetzt. Ich habe Abschiedsbriefe von Menschen, die sich nach Rufmordkampagnen umgebracht haben. Und mit dieser Schande, mit diesem im wörtlichen Sinne Rufmord nicht mehr weiterleben konnten. Ich kann mich wehren. Ich rechne auch nicht damit, dass hiermit die Kampagne des Springer-Konzerns beendet ist. Die können sich nämlich nicht irren. Die sind so gebaut, dass sie immer meinen, letztlich Menschen, die sie auf der Abschussliste haben, zerstören zu können. Und von daher habe ich keine Illusionen, dass ihr Rachebedürfnis damit nun beendet ist und ich befürchte, dass ihre Verfolgungsmanie noch über meinen Tod hinausgeht. Damit muss ich leben."

Die BILD-Zeitung kassiere immer noch die meisten Rügen vom Presserat, im Internet könne man unter der Seite "BILDblog" (www.BILDblog.de) jede Woche Fälschungen dieser größten deutschen Boulevardzeitung nachlesen. Ziel von BILD sei es, Neidgefühle zu wecken und Menschen, die einer Minderheit angehören, madig und verächtlich zu machen. "Sie verfolgen politisch das Geschäft der Rechten und es sind in der Regel Menschen, die sich nicht wehren können oder es sind Mitspieler, aus der Showbranche. Ich habe vor kurzem eine Frau – einen Schlagerstar - nach einer Sendung getroffen, die sich bei mir beklagte, dass über ihr Privatleben ständig falsch berichtet würde, ihr Sachen unterstellt würden, die rufschädigend wären und ich fragte sie, warum wehren sie sich nicht, nehmen sie doch meinen Rechtshilfefonds in Anspruch, und ihre klägliche Reaktion war: aber ich muss ihnen doch auch wiederum dankbar sein, ohne sie gäbe es mich doch gar nicht. Das heisst, sie können auch diese Homunculi-Menschen im Showgeschäft, manchmal auch in der Politik aufbauen und dann genauso wieder zerstören, wenn es ihnen zupass kommt."

P.S.: Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.