Auch die SED-Seite bestätigt die Kontakte. Siegfried Unverricht (76), damals Propaganda-Sekretär der
SED-Bezirksleitung Rostock, erinnert sich: Es war die Zeit des Dialogs, wir bemühten uns um Kontakte zur SPD, und Gundlach war einer von
mehreren, die zu diesem Zweck in den Westen reisten."
Noch detaillierter weiß es Sepp Wagner (74), damals Sektorenleiter Westarbeit der SED-Bezirksleitung: Wir, das heißt die
Partei, haben diese Leute ausgewählt und rübergeschickt. Sie fuhren unter ihrem richtigen Namen mit normalen Reisedokumenten.
Sie sollten klug, tolerant und zuverlässig sein. Das traf auf Gundlach zu."
Und die Stasi? Vergab sie dann den zweiten Auftrag? Wagner: Es gab ein ungeschriebenes Arrangement, dass die andere Stelle
von unseren Leuten die Finger lässt."
Gundlach, der bestreitet, jemals Stasi-Mitarbeiter gewesen zu sein, fuhr nach eigenen Angaben ab 1967 häufig in den
Westen. Weshalb er 1971 nach Kopenhagen unter falschem Namen reiste, begründet er so: Weil die DDR 1971 noch keine
diplomatische Anerkennung genoss, mussten sich alle Dienstreisenden, die ein Nato-Land besuchen wollten, in Westberlin beim so genannten
Allied Travel-Office melden, wo ihnen die jeweilige Einreisegenehmigung erteilt wurde. Das hat die DDR-Behörden natürlich
angestunken, weil der Westen so immer die Kontrolle hatte, wer aus der DDR wohin reiste."
Und um dies im Fall Kopenhagen zu umgehen, verordnete" der zuständige Mitarbeiter des DDR-Presseamtes Heinz Gebhardt,
der in Wirklichkeit Heinz Dornberger hieß und Stasi-Offizier war, Gundlach eine neue Identität. Die Dinge regeln sich zwar bald
anders, aber jetzt musst du mit falschem Pass fahren", sagte er zu Gundlach nach dessen eigenen Angaben.
Dokumente der Birthler-Behörde ermöglichen ergänzende Schlüsse: Danach war Gundlach tatsächlich von 1965 bis 1969 in
der Westarbeit der SED aktiv. Doch dann-so lassen sich die Unterlagen deuten-ist er dort völlig herausgelöst und von der Stasi
(Hauptverwaltung Aufklärung) übernommen worden. Seine Aufgabe: Abschöpfung von Wallraff. Die Stasi wollte alles wissen über
den jungen Erfolgsautoren, der zum linken Spektrum gehörte.
Worum ging es in Kopenhagen? Das lässt sich nicht auf einen Nenner bringen", sagt Gundlach heute. Wallraff wollte
nach Schweden, wir wollten uns treffen, er ahnte wohl, dass er vom Bundesnachrichtendienst (BND) beschattet wird." Was war geschehen?
In unmittelbarer Umgebung von Wallraffs Wohnung in Köln war am 2. Dezember 1971 Marianne Herzog festgenommen
worden, die zum Kern der Baader/Meinhof-Gruppe gehörte, aus der sich später die Rote Armee Fraktion (RAF) rekrutierte. Die
Ermittler hegten den Verdacht, Wallraff hatte der Gesuchten Unterschlupf gewährt. Als Wallraff am 17. Dezember in Kopenhagen
Gundlach traf, erzählte er diesem, dass Marianne Herzog verhaftet worden war.
Wallraff hegte zu dieser Zeit gewiss Sympathie für die Baader/Meinhof-Szene, wenngleich er sich schon früh öffentlich von
allen terroristischen Aktionen distanzierte. Dem Tagesspiegel" sagte er 2003: Ich habe die Ulrike (Meinhof) sehr geschätzt, als sie
sich sozial engagiert hat..."
Worum ging es außerdem in Kopenhagen? Gundlach: Wallraff wollte inkognito in einen DDR-Betrieb, ich sollte helfen. Ich
wollte eine Story über rechte Gruppen im Westen machen, er sollte helfen. Das war-naja, wie ein Arbeitsgespräch. Wir wollten zu
Helene Weigel mit einem Stück von ihm und so weiter."
Nach Unterlagen der Birthler-Behörde ging es in Kopenhagen auch um die Deutsche Union, eine rechte Randgruppe, für die
sich die DDR interessierte. Wallraff hatte Material besorgt, dessen Weitergabe zwar nicht kriminell war. Gleichwohl stellte der Vorgang
so etwas wie Nachrichtenübermittlung dar, wovon aus Wallraffs Sicht die westdeutschen Behörden nicht unbedingt wissen mussten.
Wallraff traf sich in Kopenhagen außerdem mit seiner schwedischen Freundin Britta Edwall, wovon wiederum seine Frau
nichts wissen sollte. Deshalb, so Gundlach, sei Kopenhagen gewählt worden und wohl auch, weil Wallraff sich beobachtet fühlte. Nicht
zu Unrecht, denn das Kopenhagen-Treffen wurde lückenlos durch dänische Behörden überwacht-im Auftrag der bundesdeutschen,
wie diese es heute darstellen.
Als Gundlach später auf dem Hamburger Flughafen verhaftet wurde, fand sich in seinen Aufzeichnungen wenig Brauchbares für
die Ermittler. Broschüren, lose Notizblätter, Material über rechte Strömungen und ein an Wallraff adressierter Brief eines Studenten.
Der bot sich an, Wallraff die Anschrift eines Kellners zu besorgen, der gelegentlich in einem Hamburger Lokal den
Verteidigungsminister Helmut Schmidt bediente. Wallraff hüllt sich dazu in Schweigen, und Gundlach hat auch keine plausible Erklärung: Der Brief
war bei mir, aber ich kannte seinen Inhalt nicht. Wahrscheinlich hatte ich ihn in Kopenhagen versehentlich mit gegriffen."
Die Hamburger Behörden hatten sich mehr erhofft: Die dachten, sie haben mit mir den großen Unbekannten geschnappt, der
vom Osten aus die Baader/Meinhof-Gruppe betreut", sagt Gundlach. Ich war in die Rasterfahndung der Baader/Meinhof-Kommission
bei der Kripo gekommen."
Ihren Verdacht konnten die Ermittler offenbar nicht erhärten. Gundlach kam nach drei Monaten frei.
|