StadtRevue Köln Magazin Artikel in Ausgabe 09/07 Am Anfang war der Selbstversuch Günter Wallraff Yvonne
Greiner sprach mit Günter Wallraff über Gott und die Welt – über die
Moschee und »Die Satanischen Verse«, über Call-Center und Betrug am Telefon StadtRevue: Herr, Wallraff, Ihr
Vorschlag, die »Satanischen Verse« von Salman Rushdie in der Ehrenfelder
Moschee zu lesen, war – wie Sie selbst sagten – ein spontaner
Vorschlag. Jetzt ist er zwei Wochen alt, finden Sie ihn immer noch gut?
Günter
Wallraff: Ja,
ich finde ihn jetzt erst richtig gut. Ich hatte zuerst Zweifel, ich habe
durchaus schon mal bei meinen spontanen Ideen das Gefühl: Bin ich eventuell
über das Ziel hinausgeschossen? Aber hier habe ich den Eindruck, es kann etwas
Sinnvolles übrig bleiben. Allein schon die Tatsache, dass sich die Kölner
DITIP-Moscheengemeinde – immerhin
die größte in Deutschland – nunmehr erstmalig in der Geschichte des Islam
ganz eindeutig schriftlich von der Fatwa gegen Rushdie distanziert hat –
das ist doch was! Bisher hat man sich an der Fatwa vorbeigedrückt, sie
klammheimlich für richtig befunden, oder man hat sich aus falsch verstandenem
Lagerdenken rausgehalten. Und plötzlich diese Distanzierung, DITIP hätte das
nicht machen müssen, aber es war ihnen ein Bedürfnis. Ich habe sie ein bisschen
dazu animiert, mehr will ich gar nicht sagen.
Welche Reaktionen gibt es ansonsten auf Ihren
Vorschlag?
Ich
wohne in Ehrenfeld, in einem Viertel, wo viele Nachbarn Muslime sind, und
einige auch in die Moschee gehen. Ich erlebe keinerlei Anfeindung. Einige
fragen, ob es nicht zu gefährlich sei, diese Lesung zu machen, viele sind
interessiert: Kann man die Satanischen Verse lesen, fragen sie, gibt es die auf
Türkisch? Nein, bisher nicht. Ich habe mal in kleinerem Kreis eine Lesung
gemacht, da waren auch einige Nachbarn, die in die Moschee gehen. Und siehe da
– das war so, als hätte man früher Katholiken in Bayern aus der
Blechtrommel vorgelesen! Einige waren ein bisschen pikiert, andere mussten
hellauf lachen, gerade an den Stellen, wo man Anstoß nehmen könnte, und es gab
danach eine interessante Diskussion. Ich habe den Eindruck, ich werde im Moment
weniger von Muslimen attackiert als von einigen Feuilletonisten, die allerdings
auch weit weg vom Geschehen sind und nicht beurteilen können, wie mein
Vorschlag entstanden ist.
Muss
man nicht das Buch von der Fatwa trennen? Es gibt doch auch ein Recht darauf,
die »Satanischen Verse« nicht zu lesen oder sie nicht gut zu finden. Erzwingen
Sie mit der Koppelung von Buch und Fatwa nicht eine Art von Bekenntnis, um das
es gar nicht gehen kann?
Es
ist gravierend, dass ein Autor, dass Salman Rushdie nach wie vor mit dem Tode
bedroht wird, jetzt sogar erneut. Dazu hat es bisher nie Distanzierungen von
muslimischer Seite gegeben. Der Hintergrund meines Vorschlags ist, dass ich
gebeten wurde, mich als Beirat der Ehrenfelder Moschee zu engagieren.
Gleichzeitig sagte die DITIP: Wir wollen uns öffnen, wir wollen einen
kritischen Dialog. Und genau da nehme ich sie beim Wort. Einen Irrtum gilt es
noch zu korrigieren: Die Lesung soll nicht im Sakralraum, sondern im
Gemeindezentrum stattfinden. Trotzdem wird mir im Feuilleton der Süddeutschen
Zeitung vorgeworfen, das wäre ja das Gleiche, als würde ich vorschlagen, im Dom
einen ökumenischen Schwulengottesdienst abzuhalten. Ja mein Gott, eigentlich
eine konsequente Idee! Sollen sie doch mal damit anfangen, ich bin der Erste,
der das unterstützen würde! Dennoch gibt es einen elementaren Unterschied: Wer
so etwas fordert, würde von der Katholischen Kirche nicht mit dem Tode bedroht
– die Zeiten sind zum Glück vorbei.
Befürworten Sie den Moscheebau in Ehrenfeld?
Ich
bin dafür, auch wenn ich kein glühender Verfechter bin. Die Grundlage ist die
Religionsfreiheit. Und was in dieser hysterisierten, von Pro Köln aufgeheizten
Diskussion übrigens verschwiegen wird, ist, dass die türkischen Vertreter ein
viel unauffälligeres Gebäude wollten. Anfangs war auch kein Minarett geplant.
Es waren die christlichen Vertreter im architektonischen Beirat, die sagten:
Wenn schon, dann soll das auch richtig nach Moschee aussehen. Und ich meine,
wenn es jetzt nach Moschee aussieht, dann soll es auch eine richtig stattliche,
vorzeigbare sein, dann soll man doch jetzt nicht an fünf oder zehn Metern Minaretthöhe rumnörgeln, dann müssen auch die
Proportionen stimmen. Gesellschaftlich betrachtet wird alles auf die
Integration der hier lebenden Muslime hinauslaufen. Aber wir machen es ihnen
verdammt schwer, wir demütigen sie. Ich finde es
beschämend, dass sie für Selbstverständlichkeiten als Bittsteller daherkommen
müssen.
Verstehen
Sie denn Ihren Vorschlag, die »Satanischen Verse« in der Moschee zu lesen,
tatsächlich als Beitrag zur Integration?
Ja,
das ist mein Beitrag, meine ureigene unorthodoxe Art, sich einzumischen. Da
werde ich auch hin und wieder ganz bewusst zum Störfaktor oder – bildlich
gesprochen – da bin ich der Stein des Anstoßes.
Aber
polarisiert der Vorschlag nicht eher? Der Text ist doch sehr umstritten.
Aber
warum ist er umstritten? Es ist ein literarisches Meisterwerk! Und auch eine
vorübergehende Polarisierung kann hilfreich sein, das Schlimmste ist, wenn sich
alles in Schweigezonen bewegt. Im christlich-islamischen Dialog auf
Gemeindeebene müsste es eher mehr als weniger Konfrontation geben – und
eine ausgeprägtere Streitkultur.
Aber
Sie erreichen doch mit Ihrem Vorschlag nur eine kleine intellektuelle Schicht.
Nein,
jetzt schon wird er hier in der Nachbarschaft diskutiert, und auch in der
gesamten türkischen Öffentlichkeit. Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich
plötzlich in der Welt positiv erwähnt – »Respekt vor Wallraff« hieß es
da. Da war ich doch sehr verunsichert. Was mache ich, wenn mich jetzt auch noch
die Bild-Zeitung lobt? Sollte ich das mal erleben, kann ich eigentlich
einpacken, dann wäre ich vereinnahmt. Aber dazu haben sie mich zu sehr auf dem
Kieker. Auf dieser Feindschaft bestehe ich auch, solange sich an der
Menschenverachtung dieses Blattes nichts ändert. Deshalb finde ich es, nebenbei
bemerkt, besonders schändlich und schamlos, dass sich ausgerechnet Alice
Schwarzer aus reiner Karrieregeilheit für dieses Blatt bundesweit und
lebensgroß prostituiert. Wobei ich die Prostituierten in Schutz nehmen muss
– die absolvieren unter härtesten Bedingungen einen Dienstleistungsberuf.
Sie
sind seit kurzem wieder undercover unterwegs, im Auftrag der ZEIT. Mit Ihrer
Reportage aus Kölner Call-Centern haben Sie zutage gefördert, dass die
Angestellten dort schlecht bezahlt werden, die Arbeitsbedingungen miserabel und
die Geschäftsabschlüsse teils betrügerisch sind. War das nicht längst bekannt?
Braucht man dafür eine Undercover-Recherche?
Ja.
Es ist zu wenig über die Branche bekannt und zu wenig aus deren Innenleben. Es
hat noch nie eine solche Insider-Geschichte gegeben. Bereits dieser
Selbstversuch hat eine so breite Diskussion ausgelöst, die ich mir in dem
Ausmaß nicht vorstellen konnte. Ich habe zuvor über Anzeigen in Tageszeitungen
und im Internet Insider aufgefordert, sich zu melden – aber ohne Erfolg.
Jetzt sind es schon über hundert, die sich mir anvertraut haben. Ich arbeite
auch an einem Film mit, der das Call-Center-Unwesen noch grundsätzlicher zeigt.
Was ich seinerzeit mit meiner BildInfiltration
geschafft habe, passiert hier im Kleinen: Der Anfang war der Selbstversuch,
danach sprachen Insider und Opfer, und so weitet sich die Geschichte langsam
aus.
Sie
wollen also Details zutage fördern. Aber Sie haben doch vor der
Undercover-Reportage gewusst, was Sie im Call-Center erwarten wird?
Nein,
es überstieg bei weitem mein Vorstellungsvermögen. Es war anders schlimm,
teilweise schlimmer schlimm, eine Geheimwelt mit sektenartigen Strukturen. Es
kommt immer auf die Veranschaulichung an. Sie können von außen alles behaupten,
aber es hat nicht die Überzeugungskraft, als wenn Sie den Kopf hinhalten. Ich
hatte mit Prozessen gerechnet, habe sie sogar dazu aufgefordert. Ich hatte
früher immer Nachspiele vor Gerichten, das hat mit dafür gesorgt, dass eine
größere Öffentlichkeit Anteil genommen hat. Seltsamerweise hat das diesmal
nicht funktioniert.
Versuchen Sie auch politisch Einfluss zu nehmen?
Ich
habe dreimal versucht, Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zu einer
Stellungnahme zu bewegen, aber ohne Erfolg. Die Lobby ist enorm mächtig.
Schließlich werden zum Beispiel auch die Lose der Süddeutschen Klassenlotterie durch Call-Center vertickt, und da
verdient der Staat: eine Milliarde geht jährlich in die Länderkassen. Doch 95
Prozent der Geschäfte kommen durch Telefon-Drücker-Methoden auf betrügerische
Weise zustande. Auch Telefongesellschaften lagern Vertragsabschlüsse in
Call-Center aus. Ich habe jetzt eidesstattliche Erklärungen von Insidern, die
bestätigen: Den Kunden am Telefon wird gesagt,
man würde ihnen Optimierungsverträge anbieten. Doch tatsächlich bekommen die
Anrufer nur Provisionen, wenn sie den Kunden schlechtere Verträge verkaufen.
Und der Datenschutz ist gar nichts mehr wert: Bei jedem neuen Telefonanschluss,
bei jedem Umzug werden Ihre Daten bereits gehandelt, und dann bekommen Sie
solche Anrufe. Widerrechtlich werden die Anrufe teilweise sogar aufgezeichnet,
ohne Einverständnis des Angerufenen. Hier im architektonisch so beeindruckenden
Köln-Turm im Mediapark sitzen einige der »ehrenwerten« Betrügerfirmen.
Warum sind Sie so schnell wieder raus aus dem
Call-Center-Job?
Ich
war nur einige Tage in zwei Call-Centern, weil ich mich doch schwer getan habe,
weil ich mich nicht zu den betrügerischen Verkäufen überwinden konnte. Ich habe
allerdings danach noch einen Praktikanten hingeschickt. ein hochintelligenter
junger Student der Medienwisschaften, der
investigativen Journalismus erlernen wollte. Er war zuerst beeindruckt von
diesem nach außen hin freundlichen und cleanen Arbeitsklima. Am dritten Tag
merkte er, dass er nicht einen einzigen Abschluss zustande bekommt, wenn er
gesetzeskonform vorgeht. Man müsse das den Chefs sagen, meinte er, die wüssten
das sicher gar nicht. Sie haben ihm geantwortet, er solle erst mal richtig
zuhören, learning by doing, und er habe doch Talent. Die Chefs in Call-Centern
sagen nie: Betrüge! Sie sagen: Schau doch mal, hör doch mal, wie die anderen
ihre Abschlüsse hinkriegen. Am fünften Tag hat er seinen Vertrag
zurückverlangt. Was
Sie in Ihren Reportagen beschreiben und
was die Insider erzählen, weist ja tatsächlich Züge einer
Sekte auf.
Ja,
meines Erachtens findet da so eine Art Gehirnwäsche
statt. Ich zitiere jetzt aus einem internen Schulungspapier, das eine Anleitung
zum Verkauf am Telefon sein soll:
»Keine Pausen entstehen lassen,
Gegen-Energie aufbauen, wir zerbröseln die Kunden so wie die Termite das
Fundament. Kein Nicht, kein Nein, kein Aber. ›Ich bräuchte ihre Bankverbindung‹
– da spürt der Kunde, ich greife in sein Portemonnaie und raube ihm 400
Euro. Wir machen das ganz unpersönlich: ›Wir nehmen jetzt die Bankdaten auf‹.
Unvermeidlichkeit suggerieren. Das Tempo spielt eine große Rolle, das ist wie
im Hollywood-Action-Kino: schnelle Schnitte, Bildergewitter, Verfolgungsjagden,
nur ja keine Pausen entstehen lassen. Das ist wie Voodoo.«
Es braucht
nicht die Mitgliedschaft in Scientology, um so ein System aufzubauen. Es hat
mich wirklich überrascht, aber noch mehr, dass die Angestellten sich nicht
untereinander darüber verständigen. Alle vollstrecken, was ihnen da vorgegeben
wird, ohne darüber zu sprechen.
Aber
es ist auch erstaunlich, wie leicht es anscheinend ist, Leute am Telefon zu
betrügen?
Erfahrungsgemäß
wissen viele gar nicht, dass durch ein beiläufiges Ja am Telefon bereits ein
rechtskräftiger Kaufvertrag zustande gekommen ist. Der Call-Agent sagt zum
Beispiel: Sie bekommen etwas geschenkt, der Zufallsgenerator hat Sie ausgewählt, an der
Fünf-Millionen-Euro-SKL-Show mit Günther Jauch in München teilzunehmen. Oder:
Sie können sich kostenlos an einem Gewinnspiel beteiligen, mit neunzig Prozent Gewinnchance, wir
müssen aber wissen, wohin wir den Gewinn überweisen sollen, deshalb brauchen
wir Ihre Kontodaten. Andere tarnen sich als Meinungsforschungsinstitute oder
behaupten, man bekäme eine Reise geschenkt. Für denjenigen, der sich darauf
einlässt, kann es die teuerste Reise seines Lebens werden. Oft sind es alte
Menschen, die in die Falle tappen, einfach weil sie froh sind über Anrufe, über
Zuspruch, dass jemand scheinbar
auf ihre Probleme eingeht. Der einzige Rat, den man geben kann, ist: sofort
auflegen!
Doch das reicht nicht, um dem Betrug beizukommen.
Nein.
Die Politiker sind mit schuldig an dem Desaster, weil sie ein Gesetz ablehnen,
das Verkaufsabschlüsse am Telefon untersagt. Die Verbraucherschützer in NRW
fordern das unter anderem. Offenbar gibt es
aber kein politisches Interesse, denn es werden Stellen geschaffen, Pseudostellen meines Erachtens, die
weitgehend auf Betrug aufgebaut sind. Call-Center sind eine sogenannte
Wachstumsbranche: Zehn Prozent Zuwachsrate pro Jahr, zurzeit arbeiten über
400.000 Menschen dort, in zehn Jahren – so die Erwartung der Branche
– soll es eine Million sein.
Zur
Person
Günter
Wallraff, der am 1. Oktober dieses Jahres 65 Jahre alt wird, lebt in Köln und ist der
bekannteste deutsche Enthüllungsjournalist. Seit den 70er Jahren hat er sich
immer wieder neue Identitäten zugelegt, um verdeckt investigativ tätig sein zu
können: Seine Recherche etwa bei der Bild-Zeitung (»Der Aufmacher«,1977)
förderte die menschenverachtenden Praktiken des Boulevardblatts zutage, mit dem
Wallraff bis heute »eine
innige Feindschaft« pflegt. Als türkischer Arbeiter Ali war Wallraff Anfang der
80er Jahre in verschiedenen Unternehmen wie Thyssen und Mac Donald’s
beschäftigt (»Ganz unten«, 1985).
Zum
Hintergrund
Seit
einiger Zeit ist Günter Wallraff wieder undercover unterwegs – im Auftrag
der Wochenzeitung Die Zeit.
Seine erste Reportage über die
betrügerischen Methoden und miserablen
Arbeitsbedingungen in Kölner Call-Centern hat einigen Wirbel
verursacht.
Gleichzeitig wurde auch sein Vorschlag, in der
Ehrenfelder Moschee aus Salman Rushdies »Die Satanischen Verse« zu lesen, in
den überregionalen Feuilletons diskutiert – und von vielen Seiten
kritisiert. Wallraff kennt Rushdie persönlich und hat ihn eine Weile bei sich
versteckt, nachdem der iranische Ayatollah Khomeini 1989 gegen den Schriftsteller eine Fatwa
verhängte, das zum Mord an Rushdie wegen dessen angeblicher Gotteslästerung in
»Die Satanischen Verse« aufforderte.
Buch
Die Biografie »Der
Mann, der Günter Wallraff ist« von Jürgen Gottschlich erscheint am 27. August
im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch. | ||