Wallraff: Vorwürfe lachhaft
Schriftsteller Günter Wallraff wehrt sich gegen Stasi-Vorwürfe und greift die Birthler-Behörde an.
Stasi-Experte Knabe: "Das Material erhärtet den Eindruck, dass Wallraff als IM gearbeitet hat"
BERLIN taz Der Schriftsteller Günter Wallraff greift nach den jüngsten Vorwürfen einer Tätigkeit für
den Staatssicherheitsdienst der DDR die Stasi-Unterlagen-Behörde an: "Ich werfe Frau Birthler persönlich
nichts vor, aber es ist natürlich eine traurige Angelegenheit, einen Menschen nur aufgrund einer Aktenlage zu
beurteilen", sagte Wallraff gestern im taz-Interview. Die Behördenleiterin Marianne Birthler habe wohl "unter
Druck gestanden", sagte der Schriftsteller, ihr sei wiederholt vorgeworfen worden, sie würde verschiedene
Maßstäbe bei West- und Ostbürgern anlegen.
Die Behörde für den Umgang mit den Stasiunterlagen hatte am Mittwoch veröffentlicht, dass der Autor in
den so genannten "Rosenholz-Unterlagen" als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi mit dem Decknamen
"Wagner" registriert worden war. Bei diesen Unterlagen handelt es sich um verfilmte Karteikarten mit den
Angaben der Mitarbeiter des Auslandsnachrichtendienstes HVA. Diese gelangten in der Wendezeit 1989/90 unter
bis heute nicht geklärten Umständen in den Besitz des US-Geheimdienstes CIA. Im vergangenen Juli wurde
die Rückgabe der rund 350.000 Datensätze an Deutschland abgeschlossen und die Geheimhaltung über die
Daten aufgehoben.
Wallraff bezeichnete gestern die Vorwürfe als "lachhaft". Eine Tätigkeit als "Inoffizieller Mitarbeiter" für
das frühere Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wies der prominente Schreiber zurück. Für die
Birthler-Behörde belegt die Auswertung aller Stasiunterlagen hingegen, "dass Herr Wallraff vom MfS als IM geführt worden
ist". Auch der Leiter der Gedenkstätte in Berlin-Höhenschönhausen und frühere Mitarbeiter der
Birthler-Behörde, Hubertus Knabe, sagte der taz: "Das gefundene Material erhärtet den Eindruck, dass Wallraff als IM
gearbeitet hat."
Die Anschuldigungen gegenüber Wallraff sind nicht neu, sie wurden bereits 1992 und 1998 erhoben. Nur
hatten sich die Stasiaktenverwalter bis Mittwoch hinter den Schriftsteller gestellt und erklärt, es gebe keine
"hinreichenden Erkenntnisse" auf eine IM-Tätigkeit Wallraffs. Wallraff erklärte, "ein so genannter
Führungsoffizier führte eine Akte - aber doch nicht mich. Ich bin nicht zu führen. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich ein
widerborstiger Mensch bin, der sich von keiner Stelle, erst recht nicht von der Stasi führen ließe."
Zu den Unterlagen, die die Stasiaktenbehörde zur Neubewertung des Falls Wallraff heranzieht, gehört auch
ein so genannter Statistikbogen aus dem Rosenholz-Datenbestand, der erst vor wenigen Tagen identifiziert
wurde. Auf diesem Bogen ist verzeichnet, dass der IM Wagner in der DDR auf "ideologischer Basis" von
Mitarbeitern des MfS angeworben wurde. Der IM Wagner wurde darin als "A-Quelle", als so genannte
Abschöpfquelle bezeichnet." WOLFGANG GAST
brennpunkt SEITE 3
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