In der Diskussion: Ausstellung "Körperwelten"
nachfolgend ein Interview mit Günter Wallraff aus: Kölner Stadt-Anzeiger 18.02.2000 | ||
„Ein Geschäft auf Kosten der Toten“
Günter Wallraff (57) ist
Schriftsteller und Journalist („Ganz unten“). Wallraff lebt in
Köln. Herr Wallraff, Sie sind Gegner
der Ausstellung
„Körperwelten“. Warum? Wallraff: Ich finde, der Tod wird als Spiel‑Art
eines modischen Exhibitionismus missbraucht. Diese Ausstellung ist der
obszöne, total misslungene Versuch einer Verewigung des
Vergänglichen. Die Toten werden der Sensationsgier preisgegeben, sie
werden bloßgestellt und entwürdigt. Das ist Showgeschäft und
Leichenfledderei unter dem Vorwand des Tabu-Bruchs. Könnte die Ausstellung
menschlicher Leichen nicht als die letztmögliche Erweiterung des
Kunstbegriffs im Sinne eines Joseph Beuys verstanden werden? Wallraff: Wenn es denn Kunst wäre! Diese
Massierung von Leichen, wie sie da in billigen Posen prostituiert werden, das
ist Geisterbahn, Gruselkabinett, Kitsch. Dieser Ausstellungsmacher ist
zuvor nie als Künstler in Erscheinung getreten; mit seinem Hut möchte
dieser Showman natürlich die Assoziation zu Beuys wecken, aber das ist
doch ein alter Hut. Hinter den Werken von Beuys und seinem Kunstbegriff standen
fundiertes Wissen und jahrelange Auseinandersetzung, hinter so einem steht
Geschäftemacherei auf Kosten von Toten. Aber die Betroffenen haben vor
ihrem Ableben ihre Körper zur Verfügung gestellt und die
Angehörigen stimmten zu .... Wallraff: Wie man hört, haben viele
Angehörige ihre Meinung mittlerweile geändert, seitdem klar ist, wie
ihre Angehörigen dort posieren und missbraucht werden. Von dem Argument, die
„Körperwelten“ seien lehrreich, weil sie authentische
Einblicke in den menschlichen Körper gewähren, halten Sie nichts? Wallraff: Für Medizinstudenten an der Uni
würde ich das gelten lassen, obwohl Computersimulationen heute viel
bessere und facettenreichere Einblicke in Aufbau und Funktion des menschlichen
Körpers ermöglichen. Aber darum geht es den Veranstaltern ohnehin
nicht. Sind Sie
für ein Verbot? Wallraff: Absolut nicht, auf keinen Fall. Wer
es nötig hat, sich dort den letzten Kick zu holen, bitte sehr.
Schließlich ist die Ausstellung auch Spiegelbild unserer zunehmend
voyeuristischen und exhibitionistischen Gesellschaft. Man kann nicht einen
sozio‑kulturellen Daseinszustand verbieten. Zu jenem Zustand zählt auch die Verdrängung des Todes
. . . Wallraff: Natürlich haben wir einen total
verlogenen Totenkult und eine verstaubte Friedhofsunkultur. Warum nicht
ehrlicher und freier mit dem Tod umgehen? Warum nicht zum Beispiel auch mal ein
Picknick auf Gräbern? Aber die „Körperwelten“ enttabuisieren
das Thema nicht, sie sind ein abschreckender Zerrspiegel für unsere
Unfähigkeit, Alter, Vergänglichkeit und Tod als etwas ganz
Natürliches und auch Tröstliches anzunehmen. Interview: Stefan Sauer | ||