Wir dürfen auch nicht vergessen“ Georg-Elser-Preis 8 November 2009, verliehen im „Alter Rathaussaal“ München

„Wir dürfen auch nicht vergessen“ Georg-Elser-Preis,

8. November 2009, verliehen im „Alter Rathaussaal“ München

Laudatio: Günter Wallraff

Gekürzte Fassung

Liebe Gäste, liebe Freunde, liebe verehrte Beate Klarsfeld, lieber Serge Klarsfeld, liebe Hella,

ich zitiere hier: „Wir spielen die lächerliche Rolle des Gewissens der Bundesrepublik; es passiert uns nichts, weil wir die prominenten Vorzeigeidioten der BRD sind.“

Erbost, ja verzweifelt schrieb der von mir so geschätzte Heinrich Böll im Januar 1969 nieder, was er von seiner und der Rolle anderer kritischer Schriftsteller in dieser Zeit hielt. Sie konnten reden und schreiben, was sie wollten und änderten doch so wenig am Zustand einer Republik, über der noch immer die Dunstglocke der Nazi-Diktatur waberte und das freie Durchatmen so sehr erschwerte.

Wir dürfen nicht vergessen, die gesamte Gesellschaft und ihre Institutionen waren von alten Nazis durchseucht.

Das Militär, der Polizeiapparat, die Ärzteschaft, die Justiz. Nicht ein Richter, der an Rassegesetzen und Deportationen schuld war, wurde je vor ein Gericht gestellt und mußte sich verantworten.

Innerhalb der Wirtschaft waren es 80 Prozent der Führungskräfte, die damals ihre Gesinnung, Ausbildung, Orientierung in Eliteschulen des Dritten Reiches erhielten. Auch in der SS. Die SS war ein begehrtes Mittel des Fortkommens in der deutschen Großindustrie. Das half damals.

Das dürfen wir doch alles nicht vergessen.

Wir hatten damals leider keine Gauck- oder Birthler-Behörde, da konnten wir nicht einfach mal hingehen und nachforschen, wer da welche belastete Vergangenheit hatte.

Da mußten wir nach Ost-Berlin oder nach Washington. Der Einblick in Archive wurde uns hier verwehrt.

D.h. diese Situation führte dazu, daß ein Kurt Georg Kiesinger, einer von vielen, ein ausgewiesener Nazi, stellvertretender Leiter der Rundfunkpropagandaabteilung im Dritten Reich, daß so einer schließlich 1966 zum Bundeskanzler gewählt wurde, der die ganze Zeit so tat, als sei alles nie geschehen. Die Haltung der kritischen deutschen Intellektuellen hat das nicht verhindern können. Sie sind auch ganz zaghaft damit umgegangen. Die Ohrfeige der Berlinerin und Wahl-Pariserin allerdings änderte daran dann doch einiges. Das war ein Umdenken, das damals eingeleitet wurde, das wir nicht hoch genug einschätzen können.

Ich will das mal auf eine Formel bringen. Erst als Sie, Beate Klarsfeld, sich des Symbols der Ohrfeige bedienten, gelang es durch diese Ungehörigkeit, Ihrem und auch unserem Anliegen weltweit Gehör zu verschaffen. Die Symbolik verschärfend kam hinzu, daß diese Aktion die einer ungehorsamen Tochter an einem Vertreter der schuldigen Vätergeneration war.

(Wendet sich Beate Klarsfeld zu)

Sie hatten auch noch gesagt, daß sie ihm nicht wehtun wollten. Es war ja doch mehr eine Streicheleinheit angesichts der Untaten, die so einer wie Kiesinger schließlich symbolisierte. Das dürfen wir doch alles nicht vergessen. Wir dürfen doch nicht so tun, als hätten Sie Gewalt ausgeübt. Das war doch keine Gewalt!

Ich darf noch einmal Heinrich Böll zitieren: ich war mit ihm befreundet, ich schätze ihn sehr und verdanke ihm viel. Wenn er heute noch am Leben wäre, würde er mit Freude die Laudatio auf Beate Klarsfeld halten.

Er hat nämlich seinerzeit Beate Klarsfeld für ihre Aktion einen Strauß roter Rosen nach Paris geschickt.

Damals hat sein Schriftstellerkollege Günter Grass dieses liebevolle Zeichen der Solidarität noch schulmeisterlich bemäkelt.

So kritisch waren damals die kritischen Intellektuellen!

Böll hat daraufhin einen zweiten Strauß auf den Weg nach Paris gebracht. Er war schon immer etwas konsequenter als die anderen, die das für „ungehörig“hielten. In einem Manifest in der „Zeit“ hat er dann diese seine Haltung verdeutlicht:

„Ich war diese Blumen Beate Klarsfeld schuldig. Auch in Erinnerung an meine Muttter, die im November 1944 während eines Tieffliegerangriffs starb.

Sie hatte mich immer darin bestärkt, die verfluchten Nazis zu hassen, ganz besonders jene von der Sorte, zu der Herr Dr. Kiesinger zählte: die gepflegten bürgerlichen Nazis, die sich weder die Finger noch die Weste beschmutzten und die nach 1945 weiterhin schamlos durch die Lande zogen. Schuldig bin ich das“, schrieb er, „meiner Generation, den Toten und den Überlebenden. Unter den Überlebenden denjenigen, die es sich nicht leisten können, Frau Klarsfeld via Flowerpower ihre Sympathie auszudrücken, weil sie sonst ihre Posten als Volksschullehrer, Studienräte, Fernsehredakteure, Verlagsdirektoren verlieren würden.“ Das dürfen wir nicht vergessen!

„Ich kann es mir leisten und leiste es mir jetzt erst recht, ich spiele den Freiheitsbock – für viele, deren Freiheit nicht so weit geht wie die meinige.“, so Heinrich Böll.

 

 Frau Klarsfeld war uns allen weit voraus. Sie gehört zu denen, die auf keinem Auge blind waren, die keiner Partei angehörten, ihrem Gewissen folgten und den Satz von Böll ernstnahmen: „Das Recht ist auf Seiten der Opfer.“ Und deshalb hat sie ihrem Gewissen folgend das gemacht, was sie für richtig hielt und zwar schutzlos.

Dieses Ungeschützte macht ihre Aktion umso wertvoller.

Wie die von Georg Elser, er hat sich auch selber beauftragt, woraus immer eine große Einsamkeit resultiert. Beate Klarsfeld – großen Respekt – hat auf der Suche nach Schuldigen auch die Archive von Ost-Berlin genutzt, aber ihre Unabhängigkeit dabei bewahrt. Sie hat nämlich auch im sozialistischen Prag demonstriert, hat dem dortigen System seinen ganz ausgewachsenen Antisemitsimus vorgehalten, den es verordnete und durchsetzte. Daraufhin wurde sie eingesperrrt.

Später gab es ein Einreiseverbot in die DDR. Ich zitiere aus einer konservativen Zeitung aus dem Jahr 1974, da steht: „Frau Klarsfeld ist 36 Jahre alt und hat expressis verbis die Aufgabe übernommen,“ – jetzt kommt es – „allen Völkern die Furcht vor dem“ – so hofft sie – „demnächst wiedervereinigten Deutschland allmählich auszutreiben.“

Dem „demnächst wiedervereinigten Deutschland“. Das hat doch 1974 niemand geglaubt, das war hellsichtig! Ja, das war eine patriotische Aussage. Sie ist die wahre Patriotin! Nicht wie

später die Politiker, die sich mit ihren Patriotismus-Worthülsen spreizten. Das war in dieser frühen Zeit eine Einsamkeit, zwischen allen Stühlen zu sitzen. Das heißt, sich nicht anlehnen zu können, nicht gestützt zu werden; das ist eine sehr unbequeme Sitzhaltung, soll aber für das Rückgrat sehr förderlich sein.

Da stand dann sogar in der jüdischen „Allgemeinen Wochenzeitung“ aus Düsseldorf, die sie eigentlich hätte unterstützen sollen, aber damals standen die jüdischen Gemeinden selber mit dem Rücken zu Wand. Sie mußten noch um ihre Daseinsberechtigung kämpfen, also haben sie sich auch von ihr distanziert und schrieben von „gefährlichem Unfug“ und daß „ungerufen“ Frau Klarsfeld sich als „Sprecherin der Verfolgten“ aufspiele.

Was heißt das denn?

Die, die damals von ihr abgerückt sind, das waren eben die Feigen. Das ging soweit, daß sogar der an sich von mir geschätzte liberale Intendant des WDR, Klaus von Bismarck, ihr absprach, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu Wort zu kommen. Er sagte wörtlich, sie habe Charaktereigenschaften, die nicht für ein Live-Interview taugten. (Empörung im Publikum)

Aber wie ich sehe, sind wir heute auch nicht viel weiter.

Noch ein Zitat: „Ein Mensch mit Eigensinn und Mut in einem Ozean von Opportunismus.“ So hat sein Biograph Helmut Ortner Georg Elser einmal genannt. Dieser Satz trifft auch auf Sie zu: eine „Frau mit Eigensinn und Mut in einem Binnensee von Opportunismus.“

Georg Elser, der Bombenleger von München, der Hitler umbringen wollte, als es noch an der Zeit war, den Weltkrieg und das größte Verbrechen der Menschenheitsgeschichte zu verhindern, dieser Elser war ein sehr sanfter, stiller Mensch, er folgte ausschließlich seinem Gewissen, weil er früh erkannt hatte, was viele hätten erkennen müssen. Er war ein „militant“.

Das ist in Frankreich kein gewaltbereiter, sondern ein kämpferischer Mensch. Da klingt auch die Résistance noch mit an. Und Beate Klarsfeld ist so eine „militante“, wie man in Frankreich diese Aktivisten nennt. Und sie ist – gegen heftigste Widerstände aus den eigenen Reihen – erfolgreich gewesen und erreichte mit ihrer einzigartig beharrlichen und unkonventionellen Aufklärungsarbeit das, was andere erst gar nicht versucht haben. Sie hat sich angreifbar gemacht, zwischendurch galt sie sogar als Unperson, das sollten wir auch nicht vergessen. Da gehört Mut dazu.

Sicher am Spektakulärsten ist immer noch ihre öffentlich angekündigte Ohrfeige für Kiesinger, der nie auch nur in Ansätzen fähig zur Selbstkritik war.

Er bekam die Ohrfeige, die, wie ich finde, ihm eigentlich gut zu Gesicht stand.

Das war vorher allerdings anders versucht worden. Beate Klarsfeld hat hinreichende Veröffentlichungen über Kiesinger vorgelegt. Aber es hat sich nichts getan. Es wurde absolut ignoriert, totgeschwiegen. Dann erst, das wollen wir nicht vergessen, kam es zu dieser spektakulären Aktion. Die sie übrigens nur mit einer gehörigen Portion Glück unbeschadet überstanden hat. Die Personenschützer von Kiesinger waren nämlich bewaffnet, sie hätten jederzeit schießen können. Da gehört noch einmal eine große Risikobereitschaft dazu. Beate Klarsfeld blieb glücklicherweise unverletzt und so konnte dieser Schlag ins Gesicht der nazistisch durchseuchten Bundesrepublik zum Auftakt für weitere, noch durchschlagendere Aktivitäten werden.

Übrigens: einem Attentat sind die Klarsfelds nur durch Glück entgangen, weil ihr Mann Serge ein Katzenliebhaber ist. Als dieses Paket ankam, wo die Katze sich sonst neugierig-zutraulich an solche Postsendungen ranmachte, legte sie plötzlich ein merkwürdiges Verhalten an den Tag. Zum Glück haben sie sich an die Polizei gewandt, ohne das Paket zu öffnen. Es war voller Sprengstoff und hätte die ganze Wohnung in die Luft gejagt und sie mit in den Tod gerissen.

Es kam wahrscheinlich von einer SS-Hilfsorganisation, die sich hinter einem jüdischen Absender versteckte.

Im kollektiven deutschen Gedächtnis war der Abdruck ihrer Hand auf dem Kanzlergesicht so prägend, daß es lange Zeit das Einzige schien, was man mit dem Namen ,Klarsfeld‘ und ihrem Engagement verband. Das war aber nur die erste handfeste Prägung eines Lebenswerkes, das dem Zweck diente, Nazitäter zu entlarven, deren hochangesehenes gutbürgerliches Leben, das sie nach 1945 führten, zu demaskieren und sie für ihre Untaten, ihre Morde und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Verantwortung zu ziehen.

Eigentlich hat sie damit eine Hilfstätigkeit für die deutsche Justiz übernommen, eigentlich wäre das ja die Aufgabe einer Justiz in der Demokratie gewesen, was sie als Einzelne realisiert hat. Das war eben keine Selbstjustiz.

Die offizielle deutsche Justiz hat in dieser Hinsicht völlig versagt, sie klagte nicht an, sie saß nicht zu Gericht, weder gegen die Täter von SS, NSDAP und Gestapo noch gegen die Täter in den eigenen Reihen im Justiz- und Polizeiapparat; Mediziner, Journalisten, Lehrer, Kirchenleute konnten weitermachen wie bisher. Keiner wurde zur Rechenschaft gezogen. Es war unerträglich: der Gestank der NS-Zeit verpestete weiter die deutsche Gesellschaft, verseuchte die Institutionen und vergiftete sogar noch die nächste Generation. Da waren Erbhöfe geschaffen worden und da wurde natürlich für Nachfolger in ihrem Sinn gesorgt.

Was hätten wir ohne Beate Klarsfeld gemacht? Wir hätten weiter Tür an Tür gelebt mit Männern wie Kurt Lischka, aus Köln, aus meiner Heimatstadt.

Ich wußte es auch nicht.

Er war in Frankreich zum Tode verurteilt worden als einer der Verantwortlichen für die Deportation von 80.000 französischen Juden.

In Deutschland in Köln lebte er völlig unbescholten und hochgeachtet.

Was hat Beate Klarsfeld gemacht, um ihn zu finden? Sie hat im Telefonbuch geblättert und hat ihn entdeckt. Da stand er drin. Sie hatte vorher seine Untaten recherchiert. Er war nicht ausgeliefert worden. Die Auslieferung an Frankreich oder ein Gerichtsverfahren in Deutschland boykottierten die alten Nazis im Bundestag, in der Staatsanwaltschaft, den Gerichten und den Ministerien.

Darf man unter solchen Umständen zur „Selbstjustiz“ greifen? Allein der Begriff ist völlig unpassend. Auch heute noch hat der Begriff etwas Anrüchiges. Beate Klarsfeld, ihr Mann und ihre Freunde haben diese Frage damals nicht nur gestellt, sondern auch bejaht und sind zur Tat geschritten. Ich bin – das dürfte allgemein bekannt sein – Pazifist. Ich halte viel vom Gewaltmonopol des Staates, aber ich kenne auch das demokratisch verbriefte Recht auf Widerstand, das sich vom Recht auf den Tyrannenmord ableitet. Ein Recht, von dem unsere Kultur seit 2500 Jahren weiß und das die freien Geister aller nachfolgenden Gesellschaften Europas mit Vehemenz verteidigten – auch wenn sie Pazifisten waren.

Die Entführung von Lischka scheiterte 1971. Lischka wehrte sich, als die drei Entführer ihn in ein Auto verfrachten wollten, das ihn nach Frankreich hätte bringen sollen in sein Büro, an den Ort seiner Untaten. Einige Zeit nach dieser mißglückten Aktion ist Beate Klarsfeld sehr selbstbewußt bei der Kölner Staatsanwaltschaft erschienen, übergab ihr umfangreiches Beweismaterial und wurde selbst inhaftiert. Sie kam nach 14 Tagen wieder frei, wie sie auch drei Jahre zuvor bei der Kiesingergeschichte, in der sie im Schnellverfahren zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden war, freigekommen war. Europa und die USA schauten damals noch interessierter dabei zu, was die alten Nazis so in Deutschland trieben und wie sie ihre

Ankläger aus der Zivilgesellschaft auszuschalten versuchten. Eine der erfolgreichen Aktionen war die Auslieferung des ehemaligen Gestapochefs von Lyon, Klaus Barbie alias Klaus Altmann, von Bolivien nach Frankreich.

Sie hatte ihn bereits 1971 ausfindig gemacht, doch über ein Jahrzehnt sollte vergehen, bis der „Henker von Lyon“ in dem Gefängnis sitzen sollte, das ihm damals als Folterkammer gedient hatte. Auch er würde sein Leben in Bolivien fröhlich zu Ende gebracht haben, wenn Beate Klarsfeld ihn nicht ausfindig gemacht hätte. An einem ist sie allerdings gescheitert: an Alois Brunner.

An dem sind alle gescheitert. Warum? Der war hochgedeckter, angesehener Agent des Bundesnachrichtendienstes in Damaskus, wo er total abgeschirmt wurde – sie haben ihn zwar aufgespürt, aber wurde er vom syrischen Staat geschützt, wahrscheinlich sogar von Assad selber. An den ist letztlich keiner rangekommen, obwohl er einer der Blutrünstigsten und Grausamsten war. „Ich spürte kein Gefühl von Haß, sondern ein Gefühl von Gerechtigkeit“ hat Beate Klarsfeld einmal auf die Frage nach ihrer Motivation geantwortet.

Sie hat in den 60er Jahren jüdische Mütter kennengelernt, deren Kinder nach Auschwitz deportiert und dort ermordet worden waren. Sie hat sich der Trauer dieser Frauen ausgesetzt, ihren Tränen, ihrem noch immer zerstörten Leben.

Sie hat sich dem Leid der Opfer geöffnet, hat mitgelitten und mitgeweint. Empathie, Einfühlungsvermögen, ist ein unzureichendes Wort für diese bewunderungswürdige Haltung. Es war mehr. Beate Klarsfeld hat sich vom Leid der anderen erschüttern, ja aus der eigenen Bahn werfen lassen. Das Ganze ist aus Liebe heraus entstanden, das war kein kaltes, abstraktes Gerechtigkeitsempfinden.

Sie war als Au-Pair-Mädchen nach Paris gekommen. Die Liebe zu ihrem Mann, zu dessen grausamer, familiärer, verzweifelter Geschichte, hat ihr erst die Augen geöffnet.

Wäre sie nicht nach Frankreich gekommen, hätte sie Serge nicht kennengelernt, nicht diese Liebe erfahren, wäre sie vielleicht, wie so viele andere – ihr Vater war Wehrmachtsoffizier – ahnungslos geblieben. Hätte nie dieses Engagement aufgebracht.

Liebe versetzt Berge. Liebe verändert Menschen.

Beate Klarsfeld ist eine Aufrührerin geworden. Sie hat nicht nachgelassen, den Aufruhr gegen diese verdrängte, verschwiegene, mit dem berüchtigten „Befehlsnotstand“ gerechtfertigte Nazi-Tyrannei und ihrer Exekuteure zu organisieren. 1979 wurde Lischka endlich in Deutschland der Prozess gemacht.

Mit ihm standen zwei weitere Verantwortliche für die Judendeportationen aus Frankreich vor Gericht: Ernst Heinrichsohn, ein angesehener Bürgermeister und Herbert Hagen, hochbezahlter Direktor einer Apparatefabrik. Hier erinnere ich mich an eine Geschichte: ich war mit dem Sohn von Herbert Hagen, mit Jens Hagen, einem linken Journalisten befreundet. Ich habe zusammen mit ihm mal ein Hörspiel gemacht und später als Buch veröffentlicht. Er schrieb gute Lyrik und war in antifaschistischen Organisationen sehr aktiv. Ich erinnere mich, ich war mit ihm mal bei den Eltern zuhause, ich wußte das nicht, ich sah da ein gutbürgerliches Elternhaus, ein friedliches behagliches Zuhause. Es waren ja nicht alle Nazis brutale Typen, wie man sie in manchen Filmen herumlaufen sieht; ich erlebte da eine gutbürgerliche und friedliche Umgebung in einer schönen Landschaft und Jens Hagen wußte von nichts. Er hat es tatsächlich nicht gewußt. Jens Hagen hat sein Elternhaus verehrt. Als sie dann den Vater dingfest machten – er war ja der Vorgesetzte von Eichmann, direkt verantwortlich für die Deportation von -zigtausenden von Juden aus Frankreich – das wollte er nicht wahrhaben, das konnte Jens nicht an sich heranlassen. Er ist daran verzweifelt. Er ist

psychosomatisch erkrankt, er bekam eine grausame Hautkrankheit und eine Nieren- erkrankung, ganz tragisch.

Er wehrte sich gegen die Erkenntnis, daß sein Vater Schreibtischtäter und Judenmörder gewesen war. Er zerbrach an der Schizophrenie seines Vaters, an diesem Zwitterwesen, das gleichzeitig eiskalter Erfüllungsgehilfe des Deportationsregimes und warmherziger Vater gewesen war. Wie so viele Männer der Nazidiktatur, die ja nicht alle zuhause brüllend mit dem Knüppel herumliefen und ihre Kinder traktierten. Die deutschen Zweifel, ob das Naziregime tatsächlich so furchtbar gewesen sein konnte, waren mitunter auch biographisch motiviert, sie erschwerten oft die schonungslose Aufarbeitung der Verbrechen. Wir brauchten Ankläger, die frei waren von familiären Rücksichtnahmen oder gar national gesinnter Relativierung. Wir brauchten Menschen wie Beate Klarsfeld und wir brauchen sie heute immer noch.

Auch wenn bald die letzten Täter tot sein werden, brauchen wir weiterhin die ungeschönte Erinnerung, auch über ihr unrühmliches Ende hinaus. Dafür steht das Lebenswerk von Beate Klarsfeld.

Von den 80.000 aus Frankreich deportierten Juden waren 11.000 Kinder. Beate Klarsfeld hat tausende von Fotos bei überlebenden Verwandten und Bekannten gesammelt und in einer erschütternden Ausstellung zusammengeführt. Sie hat mit diesen Fotos und den biographischen Daten die Kinder aus der Anonymität der Massenschlächterei gerissen. Ihnen Namen und Gesicht zurückgegeben. Uns ihr Lächeln und ihre Zartheit gezeigt. Das Erstaunen und die Freude ihres jungen Lebens. Die Austellung wurde in Frankreich auf 18 Bahnhöfen gezeigt, durch die deutsche Deportationszüge rollten. An der Grenze allerdings war Schluß, nicht für die Züge damals, die rollten weiter nach Auschwitz. Aber für die Ausstellung. Die Deutsche Bahn, deren Reichsbahn-Vorläufer die Deportationen organisiert und daran verdient hatte, machte im Jahr 2009 „Sicherheitsbedenken“ geltend. (Raunen)

Man hält es im Kopf nicht aus: „Sicherheitsbedenken“! Das ist schon ganz schön dreist und unverfroren. Nur in Zusammenarbeit mit der deutschen Zivilgesellschaft und durch öffentlichen Druck konnte schließlich der „Zug der Erinnerung“, wie er hierzulande heißt, an die Deportation und den Abtransport von Menschen in Eisenbahnwaggons und Viehwägen gemahnen. Beate Klarsfeld hat den „Zug der Erinnerung“ mitinitiiert. Ohne ihre Unterstützung wäre er gar nicht erst zustandegekommen.

Er muß sich übrigens gegen den anhaltenden Widerstand der Deutschen Bahn behaupten, die dem Erinnerungszug mit horrenden Geldforderungen für die Überlassung des Schienentranfers den Garaus machen will.

Der „Zug der Erinnerung“ rollt aber immer noch. In Frankreich sind Beate und Serge Klarsfeld übrigens für ihr Engagement gegen Nazitäter wie Kiesinger, Waldheim, Lischka, Hagen, Heinrichsohn, Barbie, Mengele, Rauff und andere zu Offizieren der Ehrenlegion ernannt worden.

Eine der höchsten Auszeichnungen, die Frankreich seit der Revolution von 1789 zu vergeben hat. Israel hat die Aktivistin geehrt und sie wurde sogar von der Knesseth mehrfach für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

Auch in den USA hat sie offizielle Belobigungen erhalten. Das amtliche Deutschland und seine Institutionen zeigen sich bis heute kleinkariert und feige und haben ihr bisher jede Anerkennung ihrer Verdienste verweigert. Das ist beschämend, aber leider auch bezeichnend für die um sich greifende „Schlußstrich-Mentalität“.

Ich bin froh, daß die Verleiher des Georg-Elser-Preises, die Georg-Elser-Initiative München sich diesem Zeitgeist verschlossen hat und einen längst überfälligen Beitrag leistet, Beate Klarsfeld diese Ehre zuteil werden zu lassen, die sie verdient hat: als Kämpferin und Mahnerin gegen das Vergessen und Verdrängen der nationalsozialistischen Untaten. Und es wird vielleicht – so wie ich das Land in seiner jetztigen Entwicklung sehe – unter Umständen noch eine ganz Generation dauern, bis das Land so weit geläutert ist, dann auch nach Beate Klarsfeld Schulen und Straßen zu benennen.

70 Jahre nach dem Attentat Elsers auf Hitler ehren wir das Lebenswerk dieser aufrechten und mutigen Frau, die sich trotz Gefahr für Leib und Leben niemals von ihrem Anliegen hat abbringen lassen: den Opfern des Naziregimes zur Seite zu stehen, die Täter beim Namen zu nennen. Wir danken Ihnen, liebe verehrte Frau Klarsfeld für Ihren Mut, für Ihren Einsatz und für Ihre große Menschlichkeit.