Ein früher Michael Moore Seine Paraderolle war "Hans Esser", und bis heute legt sich Günter Wallraff gerne mit der "Bild“-Zeitung an VON JÖRG SCHINDLER | ||||
Neulich war da wieder so eine Geschichte. "Deutscher Sextourist von Hure k.o. geschlagen", in fetten Buchstaben, über einem entstellten Gesicht. Alles gelogen, sagt der Mann, der bei Bild Hans Esser war. Tatsächlich habe es sich um einen Raubüberfall gehandelt. Sei für Bild wohl zu langweilig gewesen. Daher die Hure. Und daher der Sextourist. Pech für das Blatt, dass sich der Geprügelte ausgerechnet an Günter Wallraff wandte, den Beelzebub des Boulevards. "Der Mann wird sein Schmerzensgeld zugesprochen bekommen", sagt Wallraff und grinst. "Da fühl’ ich mich nach wie vor in der Verantwortung, Rufmord ist kein Kavaliersdelikt - Gerechtigkeit muss sein." ... Ist ja nun auch schon gut 35 Jahre her, dass Wallraff das Wallraffen erfand und erstmals in eine Maskerade schlüpfte, um der Ausbeuter-Welt eine Nase zu drehen. Als "Ministerialrat Kröver" telefonierte er sich damals durch deutsche Chefetagen, um Auskunft über illegale bewaffnete Werkschutztruppen zu erheischen. Brachte ihm eine Anklage wegen Amtsanmaßung ein. Und jede Menge Fans auf der Linken. Das blieb dann auch so, obwohl er mit den organisierten Weltverbesserern nie so richtig was am Hut hatte. Und die nicht mit ihm. "Ich bin kein Ideologe, ich bin kein Theoretiker, ich bin nicht im Besitz einer absoluten Wahrheit", sagt Wallraff heute. Also machte Günter, das Einzelkind, lieber seins: tingelte als "Obdachloser" durch Asylunterkünfte, ließ sich in die "Irrenanstalt" Goddelau pferchen, ackerte bei Ford am Fließband und fühlte dem Pazifismus katholischer Idealisten auf den Zahn. Das machte ungeheuer Spaß und hatte ganz nebenbei den Effekt, das eine oder andere Unrecht aufzudecken. "Ich stehe grundsätzlich immer auf Seiten der Geschlagenen", sagt Wallraff. ... Also traute sich Wallraff immer mehr, kettete sich 1974, ganz ohne Mummenschanz, in Athen an eine Säule, um gegen das griechische Militärregime zu demonstrieren. 14 Monate Knast waren der Dank. Verhinderte danach, als deutscher Waffenhändler getarnt, einen Putsch des portugiesischen Generals Spinola. Und fand schließlich 1977 in der Bild-Zeitung, in deren Hannoversche Filiale er sich als "Hans Esser" eingeschlichen hatte, einen Lieblings-Feind, mit dem er sich bis heute bizarre Scharmützel liefert. Er redet gern darüber, wie er die smarten Blattmacher seinerzeit foppte, wie er die ethisch nicht ganz einwandfreie Vorgehensweise der Bild-Gestalter öffentlich brandmarkte und wie er dafür von Springer mit beinahe exorzistischem Furor verfolgt wird. Er scheint es als Auszeichnung zu verstehen, dass es unter Bild-Redakteuren bis heute Menschen gibt, "die mich aufrichtig hassen". Es ist ihm ein Vergnügen, dass der Hilfsfonds, den er für Bild-Opfer gründete, kleine Schneisen in die Welt der großen Buchstaben geschlagen hat. Wallraff gegen Springer, eine Stimme gegen geballte Medienmacht, ein einzelner Rebell gegen das Imperium. ... "Sisyphos", sagt der gelernte Aufklärer, sei immer schon sein "Leit- und Leidmotiv" gewesen. Im Falle Bild hat er es auf die Spitze getrieben. "Hans Esser": Das ist seine Paraderolle. Eine erfolgreichere hat er - vom Türken Ali, den er 1985 "Ganz unten" malochen ließ, vielleicht mal abgesehen - nie wieder gespielt. Denn egal, was Wallraff danach anpackte - ob er während des Golfkriegs 1991 durch israelische Kibbuzim tingelte, in Syrien mit dem damals noch freien PKK-Chef Abdullah Öcalan debattierte, Salman Rushdie bei sich zu Hause in Köln versteckte oder, wie zuletzt, einen bösen Brief an George W. Bush verfasste: Im Vergleich zur Esser-Ali-Zeit blieb das Echo stets einigermaßen mau. Zwar ließ sich der Maskenmann aus Köln die eine oder andere neue Anarcho-Kapriole einfallen, bis hin zu einem japanischen Remake seiner "Ganz unten"-Betrachtungen. ... ... Den "Ali", so viel steht fest, wird es nicht noch einmal geben. Er hätte es gern getan, hat sich von seinem Maskenbildner probeweise zehn Jahre jünger schminken lassen - aber genutzt hat auch das nichts: Wer würde schon einen 52-Jährigen einstellen? Zumal, wenn er Türke ist? Aber es gibt ja auch sonst genügend zu tun. Es ist ja nicht so, dass die Welt wirklich besser geworden wäre, seit Günter Wallraff auszog, sie zu verändern. "Die Verhältnisse", sagt der Marathonläufer in spe, "schreien ja förmlich danach, dass eine neue soziale Bewegung entsteht." Er glaubt sie bereits ausgemacht zu haben, in Brasilien zum Beispiel, wo er gerade war für ein paar Monate und lauter aufrechte Kollegen getroffen hat, die gegen Ausbeutung und Korruption zu Felde ziehen. Aber auch daheim in Deutschland, doch, doch, sagt Wallraff, da tue sich was,"da ist was im Kommen". Und dann macht er eine Pause. Und dann sagt er: "Das ist natürlich auch Wunschdenken." Aber so funktioniert es nunmal, das Prinzip Waffraff. "Man muss so tun, als ob alles möglich sei", das Sisyphos-Prinzip, bergauf, bergab. Wer das naiv nennt, bitteschön, da hat er nichts gegen. "Man kommt damit weiter, als wenn man kleinmütig ist." Und wenn schon nicht die Welt weit gekommen ist, Günter Wallraff ist es schon. Wer kann denn sonst noch von sich behaupten, aus seinem Nachnamen ein Tätigkeitswort gemacht zu haben? Deswegen auch möchte er irgendwann wieder wallraffen. Er will es nochmal wissen. Das glaubt er sich schuldig zu sein. "Man wird von mir hören", sagt Günter Wallraff zum Abschied. ... aus: Frankfurter Rundschau 23.12.2004, Auszüge | ||||