Herr Wallraff, Sie sind für Ihre Enthüllungsbücher mehrfach in verschiedene Rollen geschlüpft. Den ”Bild“-Reporter Hans Esser 1977 in Hannover aber haben Sie als Ihre ”gröbste Dreck-Rolle“ bezeichnet. Was war daran so schmutzig? Man muss bei so einem Job seine eigene Phantasie zur Verfügung stellen, und dabei ist man quasi einer Art freiwilliger Gehirnwäsche ausgesetzt. Ich habe mich nicht mit den Tätern bei ”Bild“ identifiziert, dennoch musste ich Stoff für Geschichten liefern. Man wird dabei selbst ein bisschen so wie die ”Bild“-Redakteure. Nach sechs Wochen sprach ich zum ersten Mal von ”wir“ - und meinte ”Bild“. Es war erschreckend. Was stieß Sie konkret ab? Es war eine eingeschworene Bande, die selbst vor kriminellen Dingen - Nötigung, Erpressung - nicht zurückschreckte. Bei der Fotobeschaffung zum Beispiel war es gang und gäbe, von Familien, deren Kinder Opfer eines Sexual-Verbrechens geworden waren, Privatbilder zu verlangen. Und wenn sie nicht wollten, sagten Sie, dann beschaffen wir Fotos aus dem Leichenschauhaus, das sieht dann nicht mehr so gut aus. Hat die Zeitung aus Ihren Enthüllungen gelernt? Gibt es eine ”Bild“ vor und eine nach Wallraff? Es gab ”Bild“-Chefs, die sagten, ich wäre ein heilsamer Schock gewesen. Aber ich habe Abschiedsbriefe von Menschen, an denen ”Bild“ auch danach im wörtlichen Sinne Rufmord verübt hat. Ein Fall von mehreren: Ende der siebziger Jahre brachte ”Bild“ eine Geschichte von einer Frau, die sich angeblich aus Angst vor dem Frühjahrputz selbst mit dem Hammer erschlagen hätte. Die Frau war in Wirklichkeit psychisch krank und hat sich erhängt, die Geschichte war erfunden. Nach der Veröffentlichung hat sich der Ehemann umgebracht. Er schrieb: ”Die Schande kann ich nicht überwinden. Wer etwas Ehrgefühl und Verstand hat, sollte dieses Lügenblatt nicht kaufen.“ Das haben Sie damals veröffentlicht. Ich habe eine Plakataktion gemacht. Damals haben Hunderttausende unterschrieben, dass sie ”Bild“ nicht mehr lesen, 200 Bundes- und Landtagsabgeordnete haben erklärt, dass sie ”Bild“ keine Interviews mehr geben. Übrigens auch Gerhard Schröder, der heute sagt, seine Hauptmedien wären ” ”Bild“, ”Bild am Sonntag“ und die Glotze.“ Die Auflage von ”Bild“ ist seinerzeit vorübergehend um fast 700 000 Exemplare zurückgegangen. Daran habe ich einen Anteil. Und ich habe erreicht, dass das Blatt durchschaubar geworden ist. ”Bild“ ist immer noch die auflagenstärkste deutsche Zeitung. Sind Sie nicht letzlich doch gescheitert? Ich habe nicht geglaubt, ich könne das Blatt verschwinden lassen. Aber ich habe mich in den folgenden Prozessen letztlich durchgesetzt, immerhin mit einem Urteil des Bundesgerichtshofs, in dem erklärt wird, dass das Blatt gegenüber Minderheiten Hass und Angst schüre. Ganz wichtig: Früher wurde, wer Missstände in seinem Unternehmen anprangern wollte, durch die Rechtsprechung gestoppt, weil die wirtschaftlichen Interessen der Firma Vorrang hatten. Seit diesem Urteil ist das Recht der Öffentlichkeit, von solchen Missständen zu erfahren, das höhere Rechtsgut. In den letzten Jahren ist trotz alledem eine allgemeine Boulevardisierung der Medien zu beobachten. Also: Eine Gemeinschaft, die überleben will, wird solche Verhetzungsorgane irgendwann nicht mehr nötig haben - oder sie wird nicht fortbestehen. Aber es ist richtig: Es gibt Leute wie Harald Juhnke, die ihre Seele an solche Blätter verkauften. Ich nenne diese Menschen ”Bild-Homunculi“. Ich traf neulich eine junge Sängerin, die meinte, ohne ”Bild“ gäbe es sie gar nicht - obwohl ständig Falsches über ihr Privatleben berichtet wird. Das ist eine Scheinwelt, die anderen auch noch als erstrebenswert vorgegaukelt wird. Aber das Publikum will’s lesen. Dort, wo es liberalere Boulevardblätter gibt, in München die ”Abendzeitung“ zum Beispiel, ist ”Bild“ zweitrangig. Die Marktmacht von ”Bild“ ist dennoch unbestreitbar. Warum ist das so? ”Bild“ appelliert an die niedersten Instinkte. Als Springer das Blatt schuf, hat er gesagt, er habe vor allem daran gedacht, dass der deutsche Leser eines nicht will: nachdenken. In einer internen Analyse der Zeitung von 1965 heißt es: ”Bild“ nimmt dem Leser das Ordnen, Sichten und Bewerten der Ereignisse ab. Sie sind nach Ihren Monaten bei ”Bild“ Hannover übel verfolgt worden... ... bis ins Privatleben hinein. Meine Mutter wurde heimgesucht, Spitzel wurden in meinen Freundeskreis eingeschleust. Ich war der ”Untergrundkommunist“, das war das gleiche wie ein Terrorist. Und der Bundesnachrichtendienst sorgte für eine Parallelschaltung meines Telefons in die ”Bild“-Redaktion Köln, über Tage. Die ”Bild“-Leute sind dafür verurteilt worden, die BND-Hintermänner bis heute nicht. Sie haben mal den jüdischen Gelehrten Ben Shoma zitiert, wonach derjenige weise ist, der auch von denen lernt, denen er skeptisch gegenübersteht. Was haben Sie von der ”Bild“-Zeitung gelernt? Au weia, da muss ich passen. Da konnte man nichts lernen. Oder doch, eines: Als ich bei ”Bild“ war, habe ich geraucht, wenn auch nicht stark. Und nun kam ich da in eine Redaktion von Kettenrauchern. Aber eines Tages wurde ich zu einem Scharlatan geschickt, der behauptete, er könne für viel Geld mit einem Blitzgerät den Menschen das Rauchen austreiben. Ich wollte mich die ganze Zeit von den anderen ”Bild“-Leuten abgrenzen, irgendwas eigenes bewahren. Und dann bin ich von dem Scharlatan zurückgekommen und habe gesagt: ”Das wirkt! Ich rauche nicht mehr!“ Seitdem hatte der Hans Esser das Image weg, er sei so naiv, er würde noch an seine eigenen Geschichten glauben. Jedenfalls: Ich rauche seitdem nicht mehr. Das war das Positive bei ”Bild“. | ||
![]() | ![]() | ![]() |
![]() ![]() | ||
![]() | ![]() | ![]() |